#4: Lesen vs. Daddeln
Hallo und herzlich willkommen bei Vatern, dem Podcast über Vater werden, Partner bleiben und Mann sein. Und ich freue mich, dass du wieder dabei bist. Unser Thema heute ist Lesen versus Daddeln. Und was das für ein Verhalten sein kann in der Schwangerschaft und was es für dich bedeutet, darauf möchte ich nachher noch eingehen.
Deine Gefühle als werdender Vater
Zunächst eine ganz kleine Rechnung. Der Beginn der Gefühle, die du so entwickeln kannst in einer Schwangerschaft ist häufig in dem Moment, wo du einen Schwangerschaftstest siehst. Ab da sind es ja noch etwa 40 Wochen. Die Details der Berechnung haben für uns jetzt erstmal überhaupt gar keine Bedeutung. Sie haben insgesamt keine Bedeutung, außer für wissenschaftliche Paper, 40 Wochen reicht völlig aus.
Welche Gefühle treten denn da auf? Welche Gefühle sind denn zulässig? Na ja, die, die kommen. Ein Test kann gewünscht positiv, ungewünscht positiv, gewünscht negativ oder ungewünscht negativ sein. Und all das, je nachdem, in welcher Situation du grade steckst, du als Mensch, aber auch du als Teil einer Beziehung, kann ganz verschiedene Gefühle in dir hervorrufen.
Und häufig ist dann eine Frage deiner Partnerin vielleicht: „Und, freust du dich?“ Und das kann sein, dass es gar nicht so einfach zu beantworten ist. Natürlich, irgendwie freust du dich. Vielleicht aber ist es gar nicht so „natürlich“. Vielleicht hast du erstmal nur Schiss, was da passieren kann. Du weißt überhaupt nicht, was sich mit deiner Beziehung ändern wird. Du weißt nicht, ob du klarkommst mit einem Kind. Du weißt nicht, ob das in dein Leben passt. Es kann auch sein, dass du eigentlich grad ganz andere Vorstellungen hast, dich weiterzuentwickeln. Vielleicht hast du grade eine Stelle angeboten bekommen.
Der richtige Umgang mit deinen Emotionen
Die Antwort ist also gar nicht so einfach. Der Schlüssel zu einem Umgang mit den Emotionen, die in dem Moment passieren, ist das Wort GLEICHZEITIG. Ich habe das entlehnt aus der gewaltfreien Kommunikation. Und es hilft mir sehr, sehr weiter. Dort wird vermieden, das Wort ABER zu verwenden. Du sagst irgendwas, ABER das und das. Und das ABER bewirkt ein Löschen des ersten Teiles dieses Satzes. Ja, ich mag dich gern, ABER. Das hat nichts mehr zu tun mit „ich mag dich gern“.
Das Wort GLEICHZEITIG öffnet dir einen Raum, in dem du dich sowohl freuen kannst als auch Schiss hast. Öffnet dir einen Raum, in dem du dich freuen kannst und gleichzeitig auf irgendwas oder irgendwen wütend sein darfst. Und du darfst bei all dem auch ein ganz kleines bisschen nachsichtig sein mit dir, dass du noch nicht sofort weißt, welche Emotion denn da ist und als erstes bearbeitet werden möchte.
Das hängt auch damit zusammen, dass du als Vater bis dahin ein klein wenig noch nicht hineingeworfen wurdest. Wer sich aber in aller Regel schon seit Jahren damit auseinandersetzen durfte, ist deine Frau. Das hängt damit zusammen, dass sie üblicherweise etwa ab dem 15. Lebensjahr (so ist es zumindest in Deutschland bei fast allen Mädchen) ihre Menstruation hat. Einmal im Monat wird sie also daran erinnert, dass sie gerade nicht schwanger ist und weiß, im nächsten Monat könnte ich es wieder werden.
Angenommen, sie ist jetzt 25 Jahre alt, dann hat sie bereits 120-mal über Fruchtbarkeit nachgedacht, über alle Folgen nachgedacht, über nicht fruchtbar sein, über nicht schwanger sein, über Kinder bekommen, über nicht Kinder bekommen. Ja, und du?
Du bist mit einem positiven Schwangerschaftstest möglicherweise das erste Mal damit in Kontakt, in Konfrontation gekommen, dass sich etwas so verändern kann, dass auf einmal ein Kind dabei rauskommt. Und dass du eine Verantwortung hast, für dich, für eine Partnerin, für ein Kind und dir noch völlig unklar ist, was da passieren wird.
Unsere Abwehrmechanismen
Das ist in der Regel eine gewisse emotionale Überforderung. Wenn wir Menschen emotional überfordert sind, dann gibt es das, dass wir in Abwehrmechanismen gehen. Davon gibt es eine lange Liste. Und es gibt viele Situationen dafür. Ich möchte auf drei für mich ganz wichtige hinweisen.
#1: Intellektualisierung
Ein Abwehrmechanismus, der nämlich gar nicht so aussieht, ist die Intellektualisierung. Und manchmal erlebst du, dass Leute, die erfahren, dass sie Vater werden, sich erstmal einen Stapel Bücher besorgen, sie akribisch durcharbeiten, als würden sie eine Masterarbeit schreiben wollen.
Ich bin übrigens auch überzeugt davon, dass die Betonung von Körperlänge, Gramm, Gewicht und Kopfumfang in den Nachrichten, die nach Geburten hin und hergeschickt werden, nichts weiter sind als eine Intellektualisierung. Ein Versuch, zu erfassen, wo doch eigentlich überhaupt nicht fassbar ist, was da grade passiert ist. Dann kann man sich immerhin dran festhalten, wie viel Gramm auf vier Stellen genau denn dein neugeborenes Kind hat. Das ist Intellektualisierung.
Und du merkst schon, ich spreche das so ein bisschen ironisch aus. Es treibt dich weg von deinen Emotionen. Und es treibt dich weg von dem, um was es eigentlich geht, nämlich die Auseinandersetzung mit und die Umsetzung von dem, was du spürst, dorthin zu dem, was du dann tun wirst und wie du dein Leben gestaltest.
#2: Prokrastination
Eine zweite, coole Möglichkeit, um vor Emotionen wegzulaufen und sie sich vom Hals zu halten, ist Prokrastination, das Aufschieben von wichtigen Aufgaben, Blödsinn machen, sich stundenlang mit Kleinigkeiten auseinandersetzen, die einfach in der Priorisierung ganz weit hinten sein sollten und das alles in der ganz großen Überzeugung, da jetzt einen wichtigen Beitrag zu leisten.
Wenn du gern prokrastinierst, also aufschiebst, dann kennst du das vielleicht schon aus deinem Leben. Dann wirst du aber auch, wenn dich jemand drauf aufmerksam macht, unter Umständen ganz empfindlich reagieren. Und dieses empfindliche Reagieren, das ist eine Einladung an dich zu gucken, was hat mich denn da jetzt hingetrieben, mich so zu verhalten, dass eine Kritik daran mich so trifft?
Das ist übrigens ein Denkmuster, mit dem wir hier sehr viel arbeiten werden. Was in dir wird denn angerührt, manche sagen „getriggert“, durch eine Kritik, durch eine Anmerkung zu dem, was du tust? Was wird so getriggert, dass es dich nervt?
Und das ist das, worauf du dann dein Augenmerk legen darfst. Das ist eine Chance, dich weiterzuentwickeln. Denn offensichtlich geht es in dem Moment nicht um den fachlichen Inhalt deines Tuns oder die konzeptionelle Güte. Sondern es geht darum, dass es für dich eine Bedeutung hat, die dir bis zu dieser Sekunde, wo die Kritik kam, noch nicht bewusst war und die weit über das hinausgeht, was an der Oberfläche sichtbar ist.
#3: Flucht ins Spiel
Und bei der dritten Möglichkeit kommen wir jetzt zu Lesen versus Daddeln. Das, was ich grade erzählt hatte, das war mit Lesen gut beschrieben. Aber die dritte Möglichkeit und ich sehe das immer wieder, ist, sich ins Spiel zu flüchten. In eine Welt zu flüchten mit, wie die Psychologen es nennen, niedriger organisiertem Verhalten.
Das bedeutet, dass es sein kann, dass du ein Spiel beginnst und stundenlang und wochenlang da hineinversinken wirst. Und klar, von außen ist es erkennbar als Daddeln. Es ist auch sozial inzwischen relativ anerkannt, dass auch erwachsene Männer spielen dürfen. Aber es ist eine Flucht vor der Emotion, vor den Konsequenzen der Umsetzung, vor deiner eigenen Reaktion auf diese Emotion. Und es ist etwas, wo du deine Partnerin alleine lässt mit einem Thema, das euch beide angeht.
Wie kommst du also raus aus der Abwehr?
Möglicherweise reicht es schon, dass du weißt, dass es das gibt. Das wird viele Situationen entschärfen, einfach weil du dich selbst liebevoll beobachten kannst. Möglicherweise ist es aber auch sinnvoll, Rituale oder Handlungsweisen zu etablieren, die die Hemmschwelle verändern, so dass du nicht so leicht in solche vertrauten Mechanismen hineinrutschst. Vertraute, aber nicht zweckdienliche Mechanismen.
Das erste Ritual: Notieren
Ich sprach davon schon einmal. Und ich werde davon wieder sprechen, weil ich es für bedeutsam halte. Nicht für jeden Tag, nicht für jedes Jahr, aber in Zeiten des Umbruchs. In Zeiten, wo du dich auf deine alten Mechanismen nicht mehr so gut verlassen kannst, weil sich die Welt so schnell dreht, empfehle ich das sehr, sehr.
Ich empfehle dir auch, mit der Hand zu schreiben, zu malen, Sachen dazu zu kleben. Und wenn dir das alles zu sehr nach Grundschullehramt klingt, dann mache es einfach allein für dich. Es muss dich ja keiner beobachten. Allein aber, dass du schreibst, dass du mit deinen Händen etwas tust.
Dadurch kommst du ins Handeln. Und die Handlungsfähigkeit macht etwas mit deinen Emotionen. Das Gefühl, nicht ohnmächtig, nicht handlungsunfähig einer Situation gegenüberstehen zu müssen, gibt dir ganz viel Selbstbewusstsein im Umgang mit dieser Emotion zurück, gibt dir ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zurück. Das heißt, dass das, was du tust, was du ausrichten kannst, eine Wirkung hat auf deine Umwelt. Und das mit einem sehr, sehr einfachen Trick, nämlich einem Stift und einem Papier.
Das zweite Ritual: Meta-Kommunikation
Und der nächste Weg raus aus der Abwehr ist, du ahnst es vielleicht schon, wieder die Kommunikation mit deiner Partnerin. Aber nicht einfach nur so und so und so und so, sondern beginne jetzt Meta.
Was ist nur eine Meta-Kommunikation? Das ist eine, die von oben draufschaut. Warum ist das so bedeutsam? Weil sich hier gerade so viel bewegt. Von oben draufzuschauen, gibt dir die Möglichkeit, über deine Worte zu sprechen. Über das, was du damit meinst zu sprechen, aber abseits von der Hitze des Gefechts.
Das Wichtigste, was ich in den letzten Jahren über Sprache gelernt habe: Sprache trennt. Ich ging lange davon aus, dass Sprache verbindet. Aber so ist es nicht. Wenn ich ein Wort sage, wenn ich einen Satz sage, dann entscheide ich mich gleichzeitig gegen hundert andere. Und möglicherweise wären dies dann die Sätze gewesen, die dir viel besser klargemacht hätten, was ich eigentlich gerade meine.
Dieses Dilemma ist hier schlecht klärbar. Wir können kaum in eine Meta-Kommunikation treten, während ich hier die Aufnahme mache. Ich muss also so formulieren, dass es mir gelingt, möglichst verständlich zu sein. Gleichzeitig weiß ich, es wird mir nicht gelingen. Ich werde also Themen immer wieder mal ansprechen.
Wenn du in der komfortablen Situation bist, mit deiner Partnerin direkt sprechen zu können, dann kann dir allein das Bewusstsein, dass deine Entscheidung für ein Wort eine Entscheidung gegen hundert andere Wörter ist, dabei helfen, eine gewisse Demut gegenüber der Deutungshoheit an den Tag zu legen.
Es kann wirklich sein, dass das, was du sagst, völlig unverständlich ist für dein Gegenüber, weil die Bedeutungsräume der Worte anders aufgehen, weil andere Assoziationen damit verknüpft sind. Und die Meta-Kommunikation lädt dich ein, genau über so was zu sprechen.
Und es wird noch viel wichtiger, wenn es um ein Kind geht. Und du dann in Gesprächen auf einmal mit den Bedeutungsräumen deiner eigenen Kindheit zu tun hast und mit den Bedeutungsräumen der Kindheit deiner Partnerin.
Darum übe jetzt, wo du Zeit hast. Jetzt, wo ihr beide Zeit habt und die könnt, die Meta-Kommunikation üben könnt und schaut, wo redeten wir bisher eigentlich aneinander vorbei? Und wo wollen wir uns auf eine neue, gemeinsame Sprache einigen?
Und es kann auch wirklich sein, auch wenn ihr bisher ein ganz reflektiertes Kommunizieren in eurem Beziehungsleben hattet, dass die neuen Themen und die ganzen Resonanzen, die dabei mit eurer eigenen Kindheit entstehen, neue Missverständnisse eröffnen. So könnt ihr euch jetzt, während der Schwangerschaft, die Zeit nehmen die zu klären, soweit es im Vorfeld denn irgendwie möglich ist.
All dieses Handeln wappnet euch gegen die Überforderung, die ihr durch zu viele Emotionen auf einmal bekommen könnt.
Lesen vs Daddeln vs Leben – Deine Entscheidung
Richtiger wäre als Titel also gewesen: „Lesen versus Daddeln versus Leben“. Denn sowohl eine Flucht ins Lesen als auch eine Flucht ins Daddeln ist etwas, was dich abhält von dem, was eigentlich ansteht.
Nämlich in einen wundervollen und manchmal vielleicht beängstigenden, manchmal erfrischenden, auf jeden Fall aber lebendigen Kontakt mit dem zu treten, was da passiert. In Kontakt mit den Emotionen zu treten, die in dir hochkommen, die in deiner Partnerin hochkommen und die in euch und mit euch etwas machen. Ihr werdet grade eine Familie. Das ist spannend. Und darüber dürft ihr euch unterhalten.